Freitag, 6. Mai 2022

Wie kommt man von Gewalt zum Frieden?

In meinen beiden letzten Beträgen habe ich von den dominanten Schatten meines Lebens berichtet, die mich umtreiben. Der Krieg in der Ukraine ist in meinem Alltag, wie ein permanentes Geräusch im Hintergrund. Manchmal nehme ich es deulich wahr und manch geht es im Lärm meines Lebens unter. Da ist mal ein Nachmittag an dem ich Gemeindemitgliedern helfe eine paar Möbel für urkainische Flüchtlinge in den 4. Stock zu tragen. Da sind Iraner, die ihr Wohnzimmer in ihrer Sozialwohung als Unterkunft für Ukrainer anbieten. Da ist das monatliche Friedensgebet in der Gemeinde, bei dem u.a. Erfahrungen und Sorgen ausgetauscht werden. Da sind Menschen helfen wollen und/oder sich Sorgen machen.

Jeder hat eine Meinung zu dem was in der Ukraine geschieht.

Fast jeder hat eine klare Haltung, was man jetzt tun sollte.

Meine Haltung ist momentan nicht so klar. Ich sehe wie wir scheitern die kleinen, alltägliche Konflikte zu lösen und staune wer plötzlich alle Experte für die großen Konflikte wird. Die Diskussion in den Medien und der Ruf nach größeren, schnelleren Sanktionen, sowie größeren Waffen schien bis zu dem offenen Brief ohne Gegenstimme. Unabhängig von dem Inhalt des Briefes fand ich die anschließenden Diskussionen in den Talkshows sehr ernüchternt. Da Treffen unsere "Experten" in Form von einflussreichen Menschen unserer Gesellschaft aufeinander, um über das Ende eines Konfliketes zu debatieren und hören sich nicht zu. Beide Seiten der Diskussionen müssen ständig wiederholen wie furchtbar sie das Elend in der Ukraine finden, weil der andere ihnen unterstellt dieses Elend nicht ernst zu nehmen. Permanent werden dem anderne die Worte im Mund umgedreht. Permanent werden dem anderen Forderungen unterstellt, die nie ausgesprochen wurden.

In der Bergpredigt sagt Jesus "Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen." Ich wünsche mir, dass wir Christen diesen Titel "Gottes Kinder" verdienen, weil wir Friedenstifter sind. Mir scheint allerdings, dass wir in diesem Gebiet kein besonders gutes Bild abgeben. Wie schön wäre es, wenn wir Christen als Expeten für Friedensstiftung etwas kontruktives zu dieser niveulosen Diskussion beitragen könnten.

Im Februar habe ich mich oberflächlich mit ein paar Gesprächstechniken auseinandergesetzt, die bei zerstrittenen Konfliktparteien einsetzt. Als kleine Filmempfehlung an dieser Stelle möchte ich auf "Die Wunderübung" hinweisen.
Ein Krieg hat allerdings eine völlig andere Dimension. Der Berg an Trauer, Wut und Schuld ist deutlich höher und wächst deutlich schneller. Dazu ist das Beziehungsflecht durch die Menge der Akteuere deutlich komplizierter.

Mir scheint eine gute Ausgangsfrage zu ein, wie wir das Wachstum dieses Berges möglichst schnell bremsen kann und gleichzeitig eine Postion erreicht, an der man diesen Berg abbauen kann.

Ich merke dabei, dass es mir an guten historischen Vorbildern fehlt. Wo haben Kriege in einer Form geendet, wie wir es uns heute für die Ukraine wünschen würden? Mit Martin Luther King oder Ghandi haben wir beeindruckende Beispiele, wie man mit Mut, Leidensbereitschaft und Klugheit nachholtig gegen hasserfülte Gewalt vorgehen kann. Beide waren aber nicht in einem Kriegsszenario.



Dienstag, 3. Mai 2022

Macht- und Hilflosigkeit

Triggerwarnung: Ich schreibe hier über meine Erfahrungen als Seelsorger. Manche Menschen leben in so einer Dunkelheit, dass es angesichts von Leid und Hoffnungslosigkeit niemanden gibt, der es in der Gemeinschaft mir solchen Lebensschicksalen aushält. Dann ist die einzige Hilfe, die man geben kann,  einen Menschen in seiner Dunkelheit für eine Zeit lang nicht alleine zu lassen. Dabei muss man Aushalten das Leid eines Menschen nicht wegnehmen zu können. Wenn du es in solch einer Dunkelheit nicht aushälst, solltest du diesen Post hier nicht lesen.

 

Manchmal werden die eigenen Wünsche erfüllt und man fragt sich, ob der Wunsch wirklich so gut war. Seit ich in diesem Blog schreibe, denke ich über das Konzept Gemeinde nach und wie ich mir Gemeinde vorstelle. Das Verhältnis von Politik und Kirche hat mich schon früh interessiert, war aber leider nie Teil meines Studiums. Meine Idee ist, dass eine Ortsgemeinde sich nicht in die Politik einmischt, aber durch ihr Wirken zu einem prägenden Faktor unserer Gesellschaft werden.
Jesus hat nie eine politische Partei gegründet oder ein politisches Amt bekleidet, sondern er hat den Menschen eine neue Art zu Leben gezeigt. Mit der Ausbreitung des Christentums im römischen Reich haben immer mehr Menschen ihre Art zu leben verändert und somit das gesamte gesellschaftliche Leben entscheident geprägt.
Diese Veränderung war so nachhaltig, dass heute in Europa die allermeisten Werte, christliche Werte sind - selbst bei Menschen, die nicht an Gott glauben.
Meine Idee von einer deutschen Gemeinde im 21. Jahrhundert ist eine Gemeinde, die durch ihr diakonisches Handeln eine gute Vernetzung in der eigenen Stadt hat. Ich denke Gemeinde also nicht als eine gesellschaftlich-isolierte Gruppe.

Die Gemeinde, in der ich jetz bin, kommt diesem Bild erstaunlich Nahe. Das freut mich, aber ich merke auch welche Schattenseiten in meinem Wunschtraum nicht eingeplant waren. An meiner (hochgeschätzen) Heimatgemeinde hat mich gestört, dass es kaum Verbidungen zu denen Ausgegrenzten und Schwachen unserer Gesellschaft gab. Jetzt habe ich diesen Kontakt und kann das Scheitern unseres Sozialstaates deutlicher erkennen als mir lieb ist.
In der Bergpredigt sagte Jesus: "Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden." Noch nie habe ich so unter dem Mangel an Gerechtigkeit und Barmherzig gehungert wie hier. Der Kontakt zu den Ausgegrenzten und Schwachen ist der Kontakt zu den Wehrlosen, Ausgebeuteten und Kranken.
Seelsorgegespräche und Krankenbesuche habe ich bereits in meiner Zeit als Jugendleiter gemacht, aber der permanente Kontakt zu Menschen deren Gesundheit stetig schlechter wird, malt mir deutlich die Grenzen unserer medizinischen Möglichkeiten vor Augen. Mit dem Tod freunde ich mich mit jeder Beerdigung etwas mehr an, aber leicht fällt es mir immer noch nicht. Ich kenne Pastoren, die Beerdigungen lieber machen als Hochzeiten, weil man bei den Beerdigungen viel näher an dem ist, was Menschen im innersten bewegt. - Ich bevorzuge Hochzeiten und das obwohl jede Hochzeit die schmerzlich Frage in mir aufwirft, ob ich jemals meine eigene Hochzeit feiern werde. Mal sehen, ob ich mich eines Tages an den Tod gewöhnen werde. Mit dem Tod endet immerhin das Leid. Das hat auch etwas befreiendes, wenn ich den Schmerz von kranken Menschen sehe. Ich würde gerne Leid und Schmerzen nehmen, doch diese Gabe habe ich nicht. So höre ich Geschichten von Operationen, gesundheitlichen Einschränkungen, Schmerzen und Medikamenten. Auf dem Heimweg denke ich dann manchmal an Mt 25,36. Dort sagte Jesus "Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht." Jesus sagte nicht "Ich bin krank gewesen und ihr habt mich geheilt." Ich will weiter besuchen, auch wenn es mir schwer fällt nicht heilen zu können.

Neben meiner Machtlosigkeit gegenüber Krankheit und Tod steht meine sehr kleine Macht gegenüber Folter und Verfolgung. Ich hatte bereits in meinem letzten Wohnort Lebensgeschichten von traumatisierten Menschen gehört. Menschen deren Leben über Jahrzehnte hinweg ein einziger Alptraum waren.  Heute schreibe ich "Bescheinigungen über kirchliche Aktivitäten" für deutsche Gerichte, die prüfen sollen, ob der christliche Glaube eines Menschen ein "identitätsprägendes Merkmal" ist. Es ist wie ein ganz schlechter Witz. Ich höre Geschichten von Steinigungen, Foltergefängnissen, ermodeten Verwandten, Erpressungen, Vergwaltigungen usw. und dann entscheiden atheistische Richter, dass der Glaube von hochaktiven Gemeindemitgliedern nicht authentisch genug ist, weil ihr Glaube keine absurden Vorurteile über das Christentum bestätigt und schicken Menschen zurück in diese Länder. Später fragt die Sachbearbeiterin beim Amt, warum die abgelehnte Asylbewerberin bei der Abschiebung ein Messer gezogen hat und ist beruhigt, weil die Frau mit dem Messer nur suizid begehen und nicht die Polizisten angreifen wollte. Jetzt beschäftige ich mich plötzlich mit Gesetzen, Anwälten und wie man Menschen auf Gerichtstermine vorbereitet, in denen ihre Abschiebung zum Foltertod beschlossen wird. 
Dann komm ich nach Hause und höre in den Nachrichten, dass Deutschland gerade anfängt mit diesen Ländern über Öl- und Gasimporte zu verhandeln, weil man sich nicht mehr von Diktaturen abhängig machen will.

Jetzt hab ich sie, die Nähe zu den Menschen außerhalb einer sozial-isolierten Gemeinde. Ich sollte vielleicht mehr darüber nachdenken, um was ich Gott bitte. Meiner eigenen Machtlosigkeit angesicht von so viel Ungerechtigkeit und Elend zu sehen ist extrem schwer. Letzte Woche hatten wir wieder ein Friedensgebet in unserer Gemeinde. Der Moderator erzählte davon, wie schwer es ihm fällt mit seiner Machtlosigkeit umzugehen und keine Lösungen zu haben. Seine Hoffnung war, dass unsere Hilfslosigkeit uns weiter in Gottes Arme treibt. Der Gedanke gefällt mir.

Konflikte

Wir leben in einer Zeit der großen, globalen Probleme. Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen, Pandemie und ein Krieg in Europa mit dem Potential zum 3. Weltkrieg. All das ist in den Medien und Alltagsgesprächen allgegenwärtig. Meine Probleme und mein Alltag sind etwas kleiner, etwas banaler und sind trotzdem ein Abbild dessen, was wir auf der großen Bühne des Weltgeschehen sehen können.

Ich bin jetzt seit 1,5 Jahren Pastor in meiner erster Gemeinde. Ich will Orientierung geben und merke an vielen Stellen, wie ich selbst noch nach Orientierung suche. Da habe ich mich an meinem alten blog erinnert und will diesen Ort hier nutzen, um meine Gedanken zu sortieren. Zwei große Themen, die mich in den letzten 1,5 Jahren beschäftigt haben sind "Hilflosigkeit" und "Konflikte".

Vorarb ein kurzer Hinweis an meine wenigen Leser: Auch wenn der Post hier sehr ermüdend klingen mag, bin ich sehr gern hier. Ich liebe meine Gemeinde und meine Arbeit hier.

In meiner Gemeinde gibt es keinen großen Konflikt. Die Gemeindeversammlungen verlaufen friedlich und es gibt keine erkennbaren Lagerbildungen. Dafür bin ich dankbar, weil ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Zum Thema Corona haben wir ein sehr breites Spektrum an Meinungen. Wir haben Menschen, denen alle unsere Regeln viel zu locker sind und Menschen, die sich nicht impfen lassen, weil in der Offenbarung stehe, dass man das nicht machen solle. Die gesetzlichen Vorgaben haben viel Raum für Interpretation gelassen und so haben wir uns entschieden bei unserem Hygienekonzept nicht den Gesundheitsschutz, sondern den sozialen Frieden am meisten im Blick zu behalten. So konnten wir in einem Balanceakt aus schrittweisen Verschärfungen/Lockerungen und gut dosierten Hinweisen auf ein rücksichtsvolles Miteinander den großen Gemeindekonflikt verhindern.

Parallel zu den unterschiedlichen Corona-Meinungen lernte ich die Familienkonstellationen in meiner Gemeinde kennen. Da sind extrem dominante Senioren, die hohe Erwartungen an das kirchliche Engagement ihrer Kinder haben. Manche erfüllen diese Erwartungen, andere sind bewusst in andere Städte weggezogen, weil sie den Druck ihrer Eltern nicht mehr ausgehalten haben. So gibt es Kummer, um die ungläubigen Kinder gepaart mit Enttäuschung und Liebesentzug. Wir haben Ehrepaare, die massive Ehekonflikte lösen konnte und offen von ihren Problemen erzählen. Wir haben Ehepaare die dermaßen zerstritten sind, dass man die Auswirkungen bis in die Enkelgenaration beobachten kann.
 

Die Anzahl an Scheidungen in unserer Gemeinde ist sehr gering. Einmal erzählte mir ein Vater sein Kind, wäre das einzige Kinder in der gesamten Schulklasse, deren Eltern nicht getrennt leben. Außerhalb der Gemeinde erlebe ich mindestens eine Scheidung pro Jahr in meinem Bekanntenkreis. Ich hasse Scheidungen.

Dann gibt es die ungelösten Konflikte von früher. Da hat irgendjemand vor zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahren etwas verletzenden gesagt. Man konnte sich nicht versöhnen. Manche schaffen es immerhin noch den gleichen Gottesdienst zu besuchen .... andere nicht mal das.

An drei Tagen pro Woche arbeite ich mit Suchtkranken. Der Konsum hat neben der Gesundheit das Sozialverhalen massiv zerstört. Jeden Tag gibt es die gleichen ungelösten Streitthemen und die Beschwerden über die andere sind allgegenwärtig. Gleichzeitig ist man stolz darauf, wenn man sich von niemandem etwas sagen lässt und die allermeisten sind froh, wenn sie ihre Freizeit alleine verbringen können. Der Drang zur sozialen Isolation gehört zur Symptomatik der Suchterkrankung, erhöht aber die Gefahr eines Rückfalls. Die Mitarbeiter und ich haben somit die Aufgabe eine Gemeinschaft zu fördern, obwohl keiner der Betroffenen Gemeinschaft will und alle massiven Nachholbedaf in ihrem Sozialverhalten haben.

In der Leitung der Jugendgruppe haben wir alle wichtigen Begabungen für die Leitung einer Gruppe notwendig sind. Dummerweise zieht man nur nicht an einem Strang, Ideen werden nicht gemeinsam diskutiert und nie zusammen umgesetzt. Die älteren Jugendlichen (inkl. Leitung) zeigen keinerlei Interesse daran die jüngeren zu integrieren. Der Frust bei den Jüngeren ist mittlerweile so hoch, dass sie nicht mehr kommen.

Eine weitere Gruppe in der Gemeinde sind Flüchtlinge aus dem nahen Osten. Die Deutschkenntnisse sind sehr unterschiedlich in der Gruppe. Eine Gemeinsamkeit ist das Heimatland in der die Politik bewusst eine Kultur geprägt hat die Teamarbeit unmöglich macht. Ein Volk das nicht kooperieren kann, kann keine Revolution organisieren. Neid, Mobbing und Lästern wirken wie ein langsames Gift, dass man leicht übersieht.


Für mich sind all diese Konflikte ein typisches Mekrmal für unsere Gesellschaft. Wir entfremden uns zunehmend und haben verlernt so zu streiten, dass wir uns danach versöhnen können. Streit ist an sich nichts schlechtes. Jesus hat sich auch immer wieder gestritten. Dennoch ist der Kern des christlichen Glaubens die Versöhnung. Gott versöhnte die Welt mit sich (2. Kor 5,19) und jene, die sich für den Frieden einsetzen, werden Kinder Gottes genannt werden (Bergpredigt).

Ich will an das Vater-Unser erinnern. Ein Gebet in dem wir um das Selbe Maß an Vergebung bitten, die wir unseren Mitmenschen zugestehen. Dieses Gebet gibt mir Orientierung. Jesus hat uns dieses Gebet gegeben. Es ist der Jesus, der uns zuerst vergeben hat. Es ist der Jesus, der am Kreuz hing und betete "Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."