Dienstag, 9. Juli 2013

Der Königsweg

Es ist soweit. Gestern hatte ich meine letzte Prüfung. Als ich mich gerade zu Bahn aufmache um nach Hause zu fahren werde ich von einer Kommilitonin angesprochen, die auch eben ihr Kolloquium bestanden hat. Wir haben uns im Laufe des Studiums nur flüchtig kennengelernt. Abgesehen von ihrem Namen (ich werde sie hier einfach mal Lena nennen), weiß ich von ihr nur, dass sie gläubig ist und meine Gemeinde als gefährliche Sekte einstuft - einen Vorwurf mit dem sie mich nie konfrontiert hat.
Es entwickelt sich ein Gespräch über Glauben, Spiritualität, Gott und sozialpädagogische Modelle. Ich würde Lena als evangelische Buddistin mit vielen esoterischen Teilelementen bezeichnen. Auch wenn es in Deutschland schon fast normal zu sein scheint sich seine Glaubensüberzeugungen selbst zusammenzubasteln verwirrt mich diese Art der Spiritualität jedes Mal neu. Ich höre sehr viel zu und versuche ihren Glauben nachzuvollziehen. Weil mir diese Art von Überzeugungen, die jegliche Praktiken, Schriften, Erlebnisse und Überzeugungen anderer Glaubensrichtung mühelos ins eigene Konstrukt aufnimmt mittlerweile ganz gut bekannt ist, komme ich recht schnell auf den Absolutheitsanspruch, den Jesus für sich in Anspruch nimmt zu sprechen. Sie bezeichnet Jesus als den "Königsweg" zu Gott. Alle anderen Wege führen aber auch zu ihm. Ich höre immer noch sehr viel zu und sage zwischendurch womit ich nichts anfangen kann und was ich gut finde. Als wir auf den Teufel zu sprechen kommen erzählt Lena mir voller Überzeugung, dass Gott und Teufel die gleiche Person seien... Das Gespräch geht noch weiter. Trotz unserer Differenzen versucht sie (fast immer erfolgreich) meine Überzeugungen in ihre einzubauen. Gegen Ende des Gesprächs schießt mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Sie hat viel mehr Fragen als Antworten. Ich habe zwar auch noch offene Frage, die entscheidenen Antworten aber schon gefunden - sie nicht. Nach knapp drei Stunden schlägt sie ein Experiment vor: Sie möchte, dass wir gleichzeitig, füreinander beten. Jeder soll ein Anliegen nennen. Nichts materielles, sondern etwas, dass wir uns tief im inneren wünschen. Ich bin mir etwas unsicher. Lena und mir ist klar, dass ich zu Jesus beten werde. Zu wem Lena beten wird ist mir nicht klar. Die Gelegenheit für Lena beten zu dürfen will ich mir aber nicht entgehen lassen. Während ich noch überlege welchen Wunsch ich nennen soll, schreibt sie ihr wichtigstes Anliegen auf:
"geistige, seelische und körperliche Freiheit - Tun durch Gott in meinem jetzigen Körper [sie glaubt an Wiedergeburt] & Wegfall von allem Belastenden was mich von Gott fernhält"
Ich überlege immer noch was ich mir wünsche soll. Als ich Lena sage, dass ich das was auf ihrem Zettel steht bereits habe ist sie zum ersten Mal in unserem Gespräch sichtbar überrascht und ein wenig irritiert. Schließlich nenne ich meinen Wunsch: 20 Gäste am Abend beim Schnupperabend vom Alphakurs.

Auf dem Weg nach Hause überlege ich was Gott wohl von diesem Experiment hält. Ich weiß es nicht und entschließe mich die Situation in Gottes Hände zu legen. Er kennt Lena, er liebt Lena und er weiß am besten was passieren muss.